Mittwoch, 16. Oktober 2013

Streiflicht Tag 2

 

                      

 


Am nächsten Abend wollte ich nach Kalifornien fliegen und Andreas Heilmann bei seinem Projekt "Concorde" unterstützen. Ich hatte vor, mich in die Wüste zu setzen, den Flug der Vögel zu beobachten, still, offen, bereit, das Rauschen zu hören. Und mir den ganzen Kalifornien-Film reinziehen, die Linie von den Hippies zu den Apollo-Leuten, den späteren Realisten und heute denen, die über unsere Netze herrschen, Jobs, Zuckerberg,

Asnetha fand es okay, dass ich 1 Woche weg war. Für die nächste Kinderwunschbehandlung musste warten.

Es beunruhigte und stresste mich natürlich, was ich wollte Die ätzende Frage, die jeden betrifft, der so etwas im weiteren Sinne beginnt, nagte jetzt auch an mir: "Was denn?" Mein Laptop war vollgestopft mit Dateien, Notizen und wirrem Zeug, und ich hoffte darauf, dass sich da schon etwas fügen würde oder auf irgendeine Weise noch weiter verästelt und fragmentiert werden würde. Genau diesen Hirnriss wollte ich dann als Thema werden lasse-

Gegen elf rief nochmal Nadine aus der Firma an. Es lief unterirdisch, überraschend, obwohl ich meiner Meinung nach eigentlich alles korrekt getan hatte. Delegiert, konzentriert, den Vertrieb gestärkt und nach Jahren des äußersten Sträubens ein Zeiterfassungssystem eingeführt hatte.

Die eigentlichen Business-Probleme der Firma hatten mit den von einigen beklagten Kommunikationssachen sowieso nichts zu tun. Das war Überbau, es gab einfach mal nichts zu tun. Das Geschäft blieb irgendwie so gegeben wie das Wetter, unvordenklich, unkontrollierbar. Unwahrscheinlich wie der Dachauer Nebel, launisch wie das Internet der Deutschen Telekom.

Was blieb, war Micro Management – im Herzen der Firma dem Cashflow – und dazu brauchte es nicht mein wirres Hirn, Angesichts der Kreditlinien bestand das Liquiditätsmanagement nur aus einer Variante und die hieß: Zahlung einstellen.

Nadine hatte auch gesagt, ich solle einfach mal raus, und da hatte sie sicher recht. Sie würde das mit dem kleinen Engpass schon hinkriegen und auch besser als mit mir als Nervenkostüm.

Jetzt am Handy lud sie noch ein letztes Mal ihre Lasten ab, beschwerte sich, dass der und der Lieferant richtig unfreundlich wird (sie sagte, um die ganze Spannung zu nehmen, einfach "Arschlöcher"). Ich sagte, das ist doch total endkapitalistisch, dieses ganze Getue mit der Kohle. Ich finde, die sollen froh sein, dass sie den Job machen durften. So zu reden war halt unsere Art von "Ein bisschen Spaß muss sein", und beiden wussten wir doch auch genau, dass wir auf die professionelle Art weiterkamen, indem wir mit Kotau, freundlichen Fiktionen, antraten und allen sagen würden, wie toll sie sind, und dass wir gewiss bald etwas überweisen würden. Bei unseren mittelgroßen Kunden sagten wir, dass sich niemand Sorgen machen müsse, bis auf bei unseren großen Gläubigern. Da würde sie das locker umdrehen und deutete an, dass sie angesichts der Höhe der ausstehenden Summe ein Mahnverfahren nicht überstehen würden. Beides Erfindungen, beides fiktive Verträge.

Letztlich mache ich den Job nicht erst seit gestern, und ich wusste, wie es läuft. Es war uns schließlich nicht zum ersten Mal etwas weggebrochen. Wir werden ein paar Leute entlassen , dann gehen ein paar von alleine, und bis zum Ende des Jahres sind wir wieder profitabel

Nachdem ich mit Nadine gesprochen hatte, rief mein Bruder Johannes an. Kurz dachte ich, die Manuela bekommt schon ihr Kind. An meinen lieben Papa dachte ich zu dem Zeitpunkt  nicht mehr.

Johannes sprach enorm klar und stimmlich unaufgeregt. Daher begriff ich unmittelbar, um was es ging.

Er sagte, dass beim Papa heute am Samstag die Werte gestiegen seien. Der Papa habe multiple Entzündungen am ganzen Körper, an den Beinen, am Rücken, sei insgesamt geschwächt. Johannes sagte aber auch, dass der Papa lacht und Faxen macht. Er habe ihn auch gefragt, wie es ihm geht, und mein Papa hat gesagt: "Noch nie so gut wie jetzt" – wir lachten.

Und mir ist alles klar. In nie gekannter Deutlichkeit, wo ich sonst voll innerer Unordnung war, parallele Outcome betrachtete und mein eigenes Ich-Management gemeinhin schlimmsten kritisiere, weil es keine klare Richtung gibt – und weil ich dieses Ich durch jahrelanges unsorgfältiges Lesen von Romanen, Fachartikeln, Zetteln, Internet-Surfen, Bildbetrachtung und früher auch Fernsehen zu einem kaputten, hocheffizienten Apparat entwickelt hatte, auf dessen Lateralität und Kreativität ich stolz war. Dabei konnte ich mir das schönreden und allgemein keinen eindeutigen Schluss ziehen, im polymorphen, im Aushalten gegensätzlicher Entscheidungsalternativen.

Wusste ich jetzt genau: JETZT STIRBT ER – ruhig und klar wie ein kalter Gebirgsbach.

Diese Zeit gehörte mir, noch bevor wir im Zug waren, meinte Asenath noch, es wäre besser, die ermäßigte Familienbahncard zu besorgen. Eine blonde, dickliche Verkäuferin, Repräsentantin einer auslaufenden und untergehenden Kaste Normcore, stellte sich etwas quer. Fehlende Dokumente, irgendwelche Vorschriften - ich bellte, Alina hingegen beruhigte und sagte etwas von Frau-zu-Frau über meinen kranken Vater. Das ging dann. Wir hatten die Familienbahncard. Ich war zu stolz, um auch nur "Danke" zu sagen.

Wir saßen im ICE und fuhren gemeinsam bis Bitterfeld. "Und sehen wir uns nicht in dieser Welt, dann sehen wir uns in Bitterfeld", sagte Asenath stieg dann aber aus.

Nun war ich allein. Ich betrat das Restaurant, wo wie immer das meiste nicht verfügbar war, und bestellte vegetarische Pasta.

Nachdem ich gegessen hatte, begann ich darüber nachzudenken, welche Worte ich verwenden würde wie ich die Grabrede schreibe – etwa kam mir. . Seine Werte waren Solidarität, Gerechtigkeit, Wahrheit – geboren in den Passionsjahren unter dem Schrecken Hitlers, aufgewachsen in einfachen und schönen Verhältnissen.

seine Größe und was Lustiges, etwa seine Grantlhuber-Art, so schrieb ich die Grabrede meines Vaters. In 30 Minuten konzentrierter Arbeit war der Text fertig und alles stimmte.

Am Fenster zog die herbstliche Landschaft vorbei, mit grauem Himmel, einem stillen See, brachliegenden Feldern und goldenen Blättern. Weiter bis zur ehemaligen Grenze, wo Deutschland bis zum 9. November 1989 geteilt war. es war Herbst, die Jahreszeit von der es heißt das man stirbt.

Hinter mir saßen zwei Theologen, ein älterer und ein junger, beide schon angekommen in der Institution, beide mit einer leichten schwäbischen Färbung in der Aussprache.

Der ältere hatte einen stärkeren Akzent und sprach in einer Art Vorlesungssprechweise, als ob er noch ohne Mikrofon sprechen würde, pre power point. "Also, aus diesem Signal, von dieser Enttäuschung her, meine ich, dass Relationalität Dankbarkeit ist

Das Zentrale ist, dass Dankbarkeit einhergeht mit Demut, Gehorsam und Zuversicht.

Dann wollte die Schneider wissen, wie ich Demut von Dankbarkeit abgrenze.

Und dann möchte Schneider wissen, wie ich Demut von Dankbarkeit abgrenze. Da hat sie sicherlich recht. Die größten Schwierigkeiten bereitet mir die Dankbarkeit, die ich, wie ich versichere, anhand von Sören Kierkegaard zu erläutern versuche. Es ist das freiwillige Einwilligen in die Tatsache, dass man in die Welt gesetzt ist. In dieser Hinsicht hat auch Kierkegaard erkannt, dass wir nur von Freiheit sprechen können, wenn wir uns als frei wissen. Die Schöpfung offenbart sich als die Welt Gottes, die Welt als Symbol. Nietzsche ist ebenso beeindruckend, indem er feststellt, dass Dankbarkeit eine Art von Religion ist. Ein durchaus christliches Element, könnte man sagen.

Und dann haut der immer wieder mit Auschwitz um sich, aber im Grunde kann man mit solch bombastischen Belegen nicht wirklich arbeiten. Ich meine, der betreibt doch geradezu ein Geschäft mit der Angst. Und dann lässt er seine Doktoranden in diese jahrelangen Arbeiten einlaufen, die im Akademischen und Menschlichen zu absolut nichts führen. Das ist so seine heuchlerische Figur, so eine Art heilige Gestalt, die Angst vor dem Nichts heuchelt – auch wenn sie empirisch betrachtet nicht wirklich existiert.

Und dann noch: Ja, Heidegger ist im Grunde atheistisch – wir sind geworfen, ohne dass es einen Werfer gibt, wir sind gerufen, ohne dass es einen Rufer gibt. "Kann ich bitte noch einen Löffel haben?", sagt er zur Bedienung und haut dann einen Witz zum Thema Blutwurst und Pflaumenwurst raus.

Ich wurde schläfrig und dachte, es müssen evangelische Theologen sein. Da dankte ich der Mutter Gottes, katholisch zu sein. Als mir bewusst wurde, dass ich aus unserer Berliner Erzdiözese heraus und jetzt im sanften mediterranen Bayern bin, dachte ich, dass es vielleicht verboten ist, so unökumenisch zu denken. Aber der Gedanke erschien mir gleich noch absurder. Dann dachte ich tatsächlich etwas reumütig daran, welchen schlimmeren Unsinn katholische Theologen wohl in den letzten 20 Jahren so verkündet haben mögen. Ich war froh, doppelt froh, kein Protestant und Theologe zu sein.

Ich sah noch einen Großvater mit seinem Enkel – ein paar von diesen verrückten Freitod-Leuten. Und als sich alles weiterdrehte, dankte ich einfach der Mutter Gottes und betete dann noch: "Bitte für uns arme Sünder jetzt und in der Stunde unseres Todes – und bitte für meinen lieben Vater, der jetzt in der Todesstunde ist." Dann schlief ich schließlich ein und wachte in München wieder auf.

Dann stieg ich in die S-Bahn, Donnersbergerbrücke, Allach, vorbei an der ehemaligen Leopard-II-Fabrik  Ab Karlsfeld kam der Nebel, ich stieg aus lief durch den berühmten Dachauer Nebel, der sich über meinen Geist legte, warm und weich wie der Ganges bei Varanasi. Und ich weinte schon, bevor ich zu Hause ankam. Aber so wollte ich mich nicht meiner Mutter zeigen und blieb lange an der Ecke meines Elternhauses stehen,  wartete und fror  die kühlen Todesgedanken weg und sagte mir: Er lebt und wird bestimmt bald erfolgreich behandelt werden. Ich fuhr meinen Laptop hoch, löschte die Begräbnisrede und so ging ich dann hinein. Mein Vater, da bin ich mir sicher, wird wieder nach Hause kommen, und ich will meiner Mama helfen,Meine Mutter öffnete die Tuer und umarmte mich. Sie tischte mir ein fettes Wammerl mit Kraut auf, das mir in dieser Situation sehr gut schmeckte. Meine Mutter berichtete mir, was geschehen war. Auch sie war wieder so wie immer: stark, nett, warm, lebhaft mitteilsam

unheard CALL Auftakt

 


Aber so gings los- die Asthena und ich lebten damals noch im inneren Bezirk, im Erdgeschoss,

es klingelte das Festnetz, eine scheinbar sichere Verbindung die ich zu der zeit ausschließlich in der Kommunikation mit meinem  Elternhaus verwendete. Ich hob den physisch schweren aus Bakelit geformten Hörers des aus  altem DDR bestand stammenden Apparates  ab. Mir schien zuerst nur ein  rauschen und Getöse in der Leitung , nach einigen Momenten realisierte ich das meine Mama dran war.       Ihre stimme überdrehte, gluckste, kippte, sie fuhr mich an: warum gehst du nicht hin -  so komplett aufgelöst, pulverisiert hatte ich meine liebe und starke Mutter noch nie erlebt –  schließlich meinte ich zu verstehen, dass sie  mir mitteilen wollte, das mein  Vater im Krankenhaus lag,  weil sie so geschrien hatte, vielleicht auch weil ich mich ängstigte und  scheute nahm ich das alles für unvollständig  und  unernst auf, ich   ging ins  Bett und schlief traumlos und fest.